Friederike Kempner              Abdel-Kaders Traum

1836 – 1904

Wolkenloses himmlisches Gewölbe,
Unter mächtigen Palmen Purpurzelt,
Eine Reiter-Karawane hält,
Auf dem Boden Wüstensand, der gelbe.

 

Krachend unterirdisches Gewölbe,
Fünfzehnhundert Leichen, tiefentstellt, –
Jede Leiche war ein wackrer Held, –
Speit die Flamme rasselnd aus, die gelbe.

 

Solch' ein Traumbild Abdelkader grüßte,
Trunken er der Heimat Boden küßte:
«Allah, Allah« – ruft er, – »meine Wüste!«

 

»Pellissier, Dein fürchterlicher Brand!« –
Plötzlich sich der Held im Traum ermannt,
Seine Blicke trafen Kerkerswand! –

 

 

 

 

 

 

 

Friederike Kempner              An Denselben   (Friedrich III.)

1836 – 1904

Die großen Blätter der Geschichte fallen,
Das eine, Prinz, es ist ganz voll von Dir,
Und alle Herzen, es erobert's Dir,
Und später Nachwelt wird es noch gefallen.

 

Wer sich des Schicksals wie des Sieg's bemeistert,
Gekröntes Leben in die Schanze schlägt,
Ein großes Herz im Heldenbusen trägt,
Zu aller Zeit der Menschen Sinn begeistert.

 

Drum Heil dem Tage, Prinz, der Dich geboren,
Du selber gleichst fürwahr dem goldnen Tag,
Dem Sonnengott vor Akropolis Toren!

 

Doch auch dem Aar mit kräft'gem Flügelschlag,
Dem Preuß'schen Aar vor unsren Siegestoren:
Daß Dich die Siegesgöttin stets begleiten mag!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Friederike Kempner             

1836 – 1904

Auf und nieder steigt die Welle,
Auf und nieder steigt die Nacht,
Und der Sterne Glanz und Pracht
Wechseln mit des Tages Helle.

 

Ew'ger Wechsel, Nacht und Helle,
Grüne Matten, dunkler Schacht,
Sprich, was siehst Du auf der Wacht,
Steigend auf die festen Wälle?

 

Moder, Moder aus den Grüften,
Blumendüfte in den Lüften,
Manchen Geist, ach, schwergeprüften.

 

Eine Welt, die Alles preist,
Was da Glanz und Schimmer heißt,
Und das Böse vorwärts reißt! –

 

 

 

 

 

 

 

Friederike Kempner              Dem Kaiser Wilhelm I.

1836 – 1904

Staunest ob der Alpenhöhe,
Sinkest nieder vor den Sternen,
Vor dem Glanz des Meteores
Aus den unbegriffnen Fernen;

 

Staun' nicht ob der Alpenhöhe,
Sink' nicht nieder vor den Sternen,
Vor dem Glanz des Meteores
Aus den unbekannten Fernen:

 

An und für sich sind sie wenig
– Wahre Größe wohnt im Geist –
Staune an den großen König,

 

Den mit Recht man »Ersten« heißt –
Jeder Zoll ein Kaiser-König,
Der die Völker mit sich reißt!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Friederike Kempner             

1836 – 1904

Des Abends letztes Gold,
Es spiegelt sich im Rhein,
Still kniet das Mägdelein
Am Ufer, wunderhold!

 

Ihr Haar, so licht wie Gold,
Ihr Aug' so himmelsrein,
Was kniest Du so allein,
Komm Maid, das Wetter grollt! –

 

Still winkt die Jungfrau mir:
»Ein Opfer ruhet hier,
»Auf einem Grab sind wir«;

 

Lieblosigkeit ist Mord, –
Entfliehe diesem Ort,
Doch sprich ein segnend Wort!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Friederike Kempner              Die stille Träne

1836 – 1904

Die Träne, ach, die stille,
Nur sie, sie brennet heiß,
In ihr wohnet der Wille:
»Daß niemand davon weiß – «

 

Daß niemand ahne, es sähe,
Wie sie dem Auge entquillt,
Ein Auge in höchster Höhe
Sie dennoch stehet und – stillt.

 

Nicht immer ganz – nicht immer –
Oft bleibt zurück ein Schimmer,
Ein glänzend feuchter Glanz –


Wie Perlen oder Glimmer –
Und trocknet sie erst ganz,
Winkt jäh ein Lorbeerkranz!

 

 

 

 

 

 

Friederike Kempner             

1836 – 1904

Die Wolken sich türmen
Am himmlischen Zelt,
Gepeitschet von Stürmen
Ein Strahl sie erhellt;

 

Ein Sonnenstrahl eilet,
Zerstreuet sie bald,
Im Nu sie zerteilet
Des Lichtes Gewalt.

 

Im menschlichen Leben
Erleuchtet ein Strahl
Des Friedens manchmal

Die menschliche Qual:
Die Wolken entschweben,
Die Freuden sich heben.

 

 

 

 

 

 

 

 

Friederike Kempner              Für die Ostpreußen

1836 – 1904

Düstre Nacht und lange Schatten
Ueber Land und über Meer,
Auf des Vaterlandes Matten
Schleicht das Elend hin und her.

 

Düstre Nacht und lange Schatten
Ueber Land und über Meer,
Die Gestalten, bleichen, matten,
Rücken immer, immer näh'r! –

 

Da – ein Leuchten längs des Meeres –
Ach, der Liebe Sonnenschein,
Stärker als die Macht des Heeres –


Rücket in die Nacht hinein.
Spricht zum Elend: horch, ich lehr' es,
Daß zuletzt der Sieg doch mein!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Friederike Kempner              Klara Wuras

1836 – 1904

Klara Wuras, lebst nicht mehr,
Bist der Welt so ganz entrückt?
Eine Blüte schon geknickt –
Ach, an Tönen warst ein Meer.

 

Tausend Melodien strömten,
Brausten, Klara, auf's Klavier –
Ließest Deine Saiten hier?
Deiner Töne Schmelz – verschämten? –

 

Venetianisch süße Lieder –
Deiner Brautfahrt Melodei –
Klinget in dem Herzen wieder. –

 

Goldne Wogen, strömt herbei –
Rauschen wie des Aars Gefieder –
Klara's große Phantasei

 

 

 

 

 

 

 

 

Friederike Kempner             

1836 – 1904

Menschenliebe, Zauberwort,
Das die Welt vereinet,
Menschenhaß ist Seelenmord,
Guter Engel weinet –

 

Leidenschaften wilde Glut
Unbewußt verheeret, –
Unbewußt sie Böses tut,
Bis sie sich zerstöret.

 

Sie ist nicht von Gott gesandt,
Der die Güte einst erfand,
Flammen in den Abgrund bannt.

 

Sein und gut ist, was da ist –
Unser ist nur eine Frist,
Ob man gut, ob böse ist. –

 

 

 

 

 

 

 

Friederike Kempner             

1836 – 1904

Tage kommen und entschwinden,
Jahre kommen und vergeh'n,
Und kein Mensch kann es ergründen
Dieses Kommen, dieses Geh'n.

 

Gott nur kann das Rätsel wissen,
Logisch laßt uns ihm vertrauen,
Fest auf seine Hilfe bau'n,
Froh den Tag, das Jahr begrüßen.

 

Und ein jeder Tag, er bringe
Uns die allerbesten Dinge,
Mut und Kraft und Sonnenschein,


Was wir taten mag gedeih'n,
Was wir wünschen bald gelinge
Uns und allen, welche rein.

 

 

 

 

 

 

 

Friederike Kempner              Thaddäus Gora

1836 – 1904

Purpurn glänzt die Abendröte,
Still der Prosna zugekehrt,
Frauenbild man beten hört.
Warum weint Frau Margarete?

 

Fremdling, frägst, warum ich bete?
Hast von der Legion gehört,
Die, vom Schwerte aufgezehrt
Polens Boden blutig säte?

 

Lieber Sohn war mit dabei,
Hochgelehrt und achtzehn Jahr,
Stärker war die Tyrannei,

 

Reicht' das Schwert ihm selber dar
Fremdling, eine Träne weih:
Polens Asche, sei fruchtbar! –

 

 

 

 

 

 

 

Friederike Kempner             

1836 – 1904

Wenn man die Mutter aus der Erde graben könnte,
Dann würden alle Menschenhände graben,
Mit einer Eil', als wenn es brennte:
Denn jeder will die Mutter wieder haben.

 

Wenn man die Mütter aus der Erde könnte graben,
Dann wäre Sonnenschein bei Tag und Nacht auf Erden,
Und alle würden wieder frohe Kinder werden,
Wenn sie die Mütter würden wieder haben.

 

Ein Jubelschrei, er würde rings ertönen,
Ein Glück bei Armen und bei Reichen
Ach, reich sind alle, welche nie vom Mutterherzen weichen. –

 

Ein Lieben ohne End' und Gleichen –
Das Wiederseh'n nach lang' getrag'nem Sehnen,
Nach stillen, lauten, heißen Tränen! –

 

 

 

 

 

 

 

Friederike Kempner              Zum 9. Juli,
1836 – 1904                              dem Todestage derselben   (Der Mutter)

 

Erde stehe still, Sonne scheine nicht,
Fürchterlich ist dieser Tag!
Jenes Engelsangesicht
Sterbend mir vor Augen lag.

 

Sonne scheine dort, wo dorten sie erschien –
Strahlen wirf auf ihren Pfad.
Englein alle müßt entgegenziehn,
Wenn die Allerreinste naht!

 

Ewig, ewig waren wir vereint,
Eins in Wort, Gedanke, Tat,
Uns nur Gott geschieden hat! –

 

Daß er unser Fleh'n verneint,
Uns im Tode nicht vereint,
Ist verhüllt in seinem Rat! –

 

 

 

 

Friederike Kempner             

1836 – 1904

Auf des Lebens Ocean

Fährt der Dampfer stolz geehrt,

Mancher, ach, im schwanken Kahn

Stehend jeder Welle wehrt.

 

Seht das Schiff mit sichrer Hast

Fast im Hafen liegt –

Und der Nachen ohne Rast

Auf den Wogen fliegt.

 

Himmelhoch und Abgrundstief

- Gott, der Mensch zu Hilfe rief –

Endlich er vor Anker lief;

 

Doch es rennt des Dampfers Last

An der Klippen mächt’gen Ast

Und zerschellet Kiel und Mast.

 

 

 

 

Friederike Kempner             

1836 – 1904

Deutsche Bildung, deutsche Sitte,

Deutsche Hetze, Kampfkultur,

Kultivirte Kämpfe nur,

Humanisten, schweigt, ich bitte,

 

Denn im goldnen Reich der Mitte

Ist von Hetze keine Spur,

Und ob solcher Unnatur,

Lacht Franzose, Däne, Britte.

 

Großer Friedrich, armer Kant,

Leibniz, Lessing, Hufeland,

Jäh vergessen von der Welt,

 

Wenn Sophist und Köter bellt

Wird das deutsche Vaterland,

Gar mit Rußland gleichgestellt.